Im Gespräch
Raiffeisen ist mit ihrem Genossenschaftsmodell am Puls der Zeit
2023 war ein turbulentes Jahr für den Bankenplatz. Raiffeisen ist neu die zweitgrösste Bankengruppe der Schweiz. Ist Raiffeisen jetzt eine Grossbank?
Heinz Huber: Raiffeisen ist eine der führenden Retailbanken der Schweiz. Wir setzen auf Kontinuität und Stabilität und halten an unserer Strategie fest. Wir zählen 3,69 Millionen Kundinnen und Kunden und jedes dritte KMU-Unternehmen in der Schweiz hat eine Geschäftsbeziehung mit Raiffeisen. Unser genossenschaftliches Geschäftsmodell mit heute 219 eigenständigen Raiffeisenbanken hat sich über die Jahrzehnte bewährt. Raiffeisen ist eine grosse Gruppe, aber keine Grossbank.
Thomas A. Müller: Mit ihrem Geschäftsmodell als inlandorientierte, lokal verankerte und genossenschaftlich organisierte Bank ist Raiffeisen sehr sicher und stabil. Die Raiffeisen Gruppe wurde quasi über Nacht zur neuen Nummer 2 im Markt und wir sind uns dieser Verantwortung bewusst. Um der Verantwortung nachzukommen, sind wir im August der Schweizer Bankiervereinigung beigetreten und ich habe das Vizepräsidium übernommen. Es ist unser Anspruch, den Bankenplatz aktiv mitzugestalten, um die Interessen der Raiffeisen Gruppe und die unserer Firmenkunden sowie unserer Privatkundinnen und -kunden zu vertreten.
Hat Raiffeisen keine Wachstumsambitionen?
Heinz Huber: Raiffeisen setzt auf Vertrauen und Dienstleistungsqualität – wir wollen nicht um jeden Preis wachsen. Die Raiffeisenbanken sind lokal stark verankert und die Mitarbeitenden kennen ihre Kundinnen und Kunden meist persönlich. Zudem schaffen die Raiffeisenbanken seit jeher Mehrwert in den Regionen und finanzieren lokale Projekte für die Gesellschaft und die Umwelt. Unserer Kundschaft ist es wichtig, dass wir stabil und nachhaltig ausgerichtet sind. Selbstverständlich haben wir unternehmerische Ambitionen, wir verbinden diese aber mit einer nachhaltigen Geschäftspolitik. Das wird von unseren Kundinnen und Kunden auch so wahrgenommen und geschätzt.
Die Botschaften der Banken scheinen austauschbar. «Kundennähe ausbauen», «Kundenfokus» und «hybride Beratung». Wie schafft es Raiffeisen, sich zu differenzieren?
Thomas A. Müller: Wir differenzieren uns vor allem durch unser Geschäftsmodell und die Nähe zu unseren Kundinnen und Kunden. Die 219 rechtlich eigenständigen und genossenschaftlich organisierten Raiffeisenbanken sind Mitglieder in der Raiffeisen Schweiz Genossenschaft. Die Raiffeisen Schweiz Genossenschaft hat die strategische Führungs- und Aufsichtsfunktion der gesamten Raiffeisen Gruppe inne und die Raiffeisenbanken haften untereinander solidarisch – das bedeutet für Kundinnen und Kunden eine hohe Sicherheit.
Heinz Huber: Dazu kommt die lokale Verankerung. Mit 784 Geschäftsstellen verfügen wir über das dichteste Bankengeschäftsstellennetz der Schweiz und sind in allen Sprachregionen präsent. Das ist uns sehr wichtig. Gleichzeitig investieren wir substanziell in die digitalen Kanäle und in die Beratungsleistung. Alle lokal verankerten Raiffeisenbanken profitieren von der Expertise einer grossen, schweizweit tätigen Bankengruppe. Das ist ein grosser Vorteil.
«Raiffeisen setzt auf Vertrauen und Dienstleistungsqualität – wir wollen nicht um jeden Preis wachsen.»
Heinz Huber
Vorsitzender der Geschäftsleitung von Raiffeisen Schweiz
«Wir setzen uns auf politischer und wirtschaftlicher Ebene für eine nachhaltige Schweizer Wirtschaft ein.»
Thomas A. Müller
Präsident des Verwaltungsrates von Raiffeisen Schweiz
Sie haben es angesprochen: Die Gruppenstrategie 2025 zielt darauf ab, Raiffeisen digitaler zu machen, die physische Beratung aber beizubehalten. Wie ist der aktuelle Stand der Arbeiten?
Heinz Huber: 2023 haben wir auf drei Themen fokussiert: die Digitalisierung des Hypothekarprozesses, den Ausbau der Vorsorge- und Firmenberatung und die Entwicklung der Raiffeisen App. Letzteres ist ein anspruchsvolles Vorhaben. Die internen Abhängigkeiten zu den bestehenden Banksystemen sind gross und der Anspruch der Nutzerinnen und Nutzer an die Benutzerfreundlichkeit einer digitalen Lösung ist heutzutage sehr hoch. Deshalb laden wir regelmässig verschiedene Kundengruppen ein, um unsere Entwicklungen zu testen, noch bevor wir sie lancieren. Diese Feedbacks helfen uns, unsere Lösungen auf die Kundenbedürfnisse auszurichten.
Raiffeisen wird digitaler. Wie nehmen Sie die 12 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf diesen Weg mit?
Heinz Huber: Im Arbeitsalltag muss jeder von uns mittelfristig lernen, mit den neuen Technologien umzugehen. Wir ändern aber nicht alles von einem Tag auf den anderen. Die digitale Transformation erfolgt schrittweise. Wir schulen unsere Mitarbeitenden laufend. Digitalisierte Prozesse führen zu einem Effizienzgewinn und bringen dadurch auch für unsere Mitarbeitenden Vorteile. Auch die Fehlerquote sinkt. Die Tätigkeiten auf einer Bank werden sich längerfristig verändern. Unsere Beraterinnen und Berater werden mehr Zeit für Gespräche mit Kundinnen und Kunden einsetzen können – sei dies physisch oder online. Marktkenntnisse, Fachexpertise und Erfahrung im Umgang mit grossen Datenvolumen werden immer wichtiger.
An der Generalversammlung 2023 von Raiffeisen Schweiz wurde eine umfassende Statutenrevision beschlossen, die wichtige Modernisierungen bringt. Worum geht es?
Genossenschaften scheinen allgemein wieder im Trend zu sein. Können Sie damit auch jüngere Generationen ansprechen?
Herr Huber, Sie sind nun fünf Jahre im Amt. Was konnten Sie in dieser Zeit verändern?
Heinz Huber: Ich denke, es ist mir – in Zusammenarbeit mit meinen Kolleginnen und Kollegen in der Geschäftsleitung und dem Verwaltungsrat – gelungen, Raiffeisen zu einer modernen Genossenschaftsbank weiterzuentwickeln. Wir sind heute sehr gut aufgestellt, verfolgen eine klare Strategie und stützen uns auf eine starke Gruppengovernance. Wir haben uns mit der partizipativ erarbeiteten Gruppenstrategie 2025 wichtige Ziele gesetzt. Einerseits wollen wir unser Geschäftsmodell diversifizieren, indem wir das Anlage- und Vorsorgegeschäft weiter ausbauen, und andererseits investieren wir in die Entwicklung unserer digitalen Kanäle, wie die neue Raiffeisen-App. In dieser werden wir alle unsere digitalen Services bündeln.
Wir konnten in den letzten fünf Jahren auch intern wichtige Weichen stellen. So haben wir bei Raiffeisen Schweiz die leistungsbezogenen Boni abgeschafft, agile Arbeitsformen eingeführt und den Dialog mit den Raiffeisenbanken formalisiert. Darüber hinaus konnten wir sehr gute Zahlen präsentieren, dies in einem wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich herausfordernden Umfeld. Dies ist auch den Ratingagenturen nicht verborgen geblieben, die uns ein ausgezeichnetes Rating vergeben. Das freut mich persönlich sehr und ich bin stolz auf das, was wir in dieser kurzen Zeit zusammen erreicht haben.
Werfen wir noch gemeinsam einen Blick in die Zukunft: Welche Trends sind für Raiffeisen relevant?
Thomas A. Müller: Die digitale Transformation ist und bleibt eine zentrale Herausforderung für die Bankenbranche und damit auch für Raiffeisen. Wir sind gut unterwegs und die strategische Richtung stimmt. Sich aber nur darauf zu konzentrieren, wäre kurzsichtig. Der ökologische und demografische Wandel betrifft uns in der Schweiz stark. Als verhältnismässig kleines Land spüren wir Veränderungen schnell. Hier braucht es neue Verhaltensweisen und gesellschaftlich tragfähige Konzepte. Nehmen wir beispielsweise die Diskussionen rund um die Altersvorsorge. Unser 3-Säulen-System ist einzigartig, dazu müssen wir Sorge tragen und zukunftsfähige Reformen etablieren. Ein gutes Vorsorgesystem ermöglicht eine verlässliche materielle Lebensplanung, schafft Sicherheit für die Individuen und Stabilität in der Gesellschaft. Es bildet daher eine wesentliche Rahmenbedingung, damit eine moderne Wirtschaft gedeihen kann. Als Bankengruppe mit Inlandfokus setzen wir uns auf politischer und wirtschaftlicher Ebene für eine nachhaltige Schweizer Wirtschaft ein.
Heinz Huber: Dem pflichte ich bei. Auch die Raiffeisenbanken setzen dort an, wo ein direkter Einfluss möglich ist: in der Beratung der Kundinnen und Kunden und im gesellschaftlichen Engagement. Es ist wichtig, dass wir antizipieren, wie sich kommende grosse Veränderungen auswirken könnten. Ich denke da an die höhere Lebenserwartung oder Auswirkungen der Digitalisierung auf die Industrie oder auf einzelne Branchen. Wir müssen uns auch überlegen, wo wir lokal ansetzen, um weiterhin gesellschaftlichen Mehrwert schaffen zu können. Als Genossenschaftsbank sind wir langfristig ausgerichtet und wollen den Wandel mitgestalten.
Raiffeisen thesauriert 92 Prozent ihres Gewinns
Thesaurieren bedeutet, dass Gewinne nicht ausgeschüttet werden, sondern in den Eigenmitteln des Unternehmens verbleiben. Raiffeisen schafft mit dem erwirtschafteten Gewinn für ihre Mitglieder, ihre Kundinnen und Kunden sowie für die Gesellschaft Mehrwert. Die Bankengruppe thesauriert deshalb jedes Jahr über 90 Prozent des Gewinns und erhöht damit Jahr für Jahr ihre Kapitalbasis. Dadurch wird die Genossenschaftsbank noch sicherer.
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